Eine nachhaltige Maßnahme für eine bedrohte Art
Fischereivereine Weikersheim und Bad Mergentheim setzte Glasaale in der Tauber aus
Der Aal ist er ein bekannter und beliebter Speisefisch. Umweltverschmutzung, Dämme und Kraftwerke machen ihm das Leben schwer, und so sinkt der Bestand. Dem wirken die Fischereivereine Bad Mergentheim und Weikersheim entgegen.
Bad Mergentheim/Weikersheim. Siegfried Pickrahn ist der neue Gewässerwart der Weikersheimer Sportfischer. Er hat sich den vergangenen Donnerstag-Nachmittag freigehalten, ebenso ein Vertreter des Fischereivereins Bad Mergentheim. Gemeinsam fahren die Angler nach Feuchtwangen. In Creglingen steigt Pickrahns Amtsvorgänger Andreas Schmidt zu. Das Ziel, der Parkplatz vor dem Casino Feuchtwangen, ist schnell erreicht. Nicht zum Vergnügen, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit sind die drei Angler unterwegs. „Roulette spielen wollen wir nicht“, sagt Pickrahn.
Auf dem Parkplatz sind bereite mehrere Autos abgestellt, eine kleine Gruppe Männer steht davor. Allesamt sind sie Angler und im Auftrag ihrer Vereine hierher gefahren. Sie kommen aus dem Hohenlohischen, aus dem Landkreis Schwäbisch Hall und auch aus dem benachbarten fränkischen Raum. Und sie alle warten auf den blauen Lkw aus Hamburg. Wie angekündigt trifft der um 17 Uhr ein.
Der Fahrer hat seinen Truck am frühen Morgen beladen, der Halt in Feuchtwangen ist nicht das Ende seiner Tour. „Ich muss heute noch an den Bodensee“, sagt er. Dort wird er dann die letzten Glasaale ausladen. In den sonst Fischen vorbehaltenen Wassertanks auf der Ladefläche stapeln sich weiße Polystyrolkisten. Die sind etwa 45 mal 20 Zentimeter groß, und in ihnen befinden sich jeweils ein Kilo Glasaale. Aus dem Meer gefischt wurden sie vor der englischen Küste, von dort wurden sie nach Hamburg gebracht sowie sortiert und verpackt erneut auf die Reise geschickt.
Der Lkw-Fahrer und Mitarbeiter der Hamburger Aalversandstelle richtet die Papiere, und dann erhalten die Vereinsvertreter die jeweils bestellte Menge. Eine Kiste bekommen die Weikersheimer Sportfischer, zwei hat der Fischereiverein Bad Mergentheim bestellt. Pickrahn und Schmidt sind gespannt, und so nehmen sie den Deckel ihrer Kiste ab. Zu sehen ist ein Gewusel sich windender Glasaale. Die sind etwa acht Zentimeter lang, haben einen Durchmesser von vielleicht zwei Millimetern und sind, wie der Name schon vermuten lässt, weitgehend durchsichtig. Klar zu erkennen sind Augen, Hirn, Organe und bei genauem Hinsehen auch die Wirbelsäule.
Warum die Fischer denn Glasaale und keine „Farmaale“ bestellt haben, wird schnell klar. Alle sind sich einig: „Glasaale sind viel besser für den Besatz geeignet als ihre älteren Artgenossen“, fasst Pickrahn zusammen. Die von Züchtern hochgepäppelten Aale haben, wie Untersuchungen und Erfahrungen gezeigt haben, nach dem Umsetzen in ihre neuen Heimatgewässer eine deutlich höhere Sterblichkeitsrate. Die Umstellung fällt ihnen „weitaus schwerer, den sie sind ja gewohnt, dass sie gefüttert werden“. In Freiheit, etwa in der Tauber, müssen sie ihre Nahrung selbst finden, was die Glasaale intuitiv tun.
Nicht nur der Lkw-Fahrer und die Fischer, auch die Fracht hat eine Reise hinter sich. Und die war lang. Für die jungen Aale begann das Leben in der Sargasso-See, einem Meeresgebiet im Atlantik südlich der Bermuda-Inseln und östlich von Florida. Dort ist das Laichgebiet des europäischen Aals, und dorthin ziehen die im Süßwasser lebenden Aale im Alter von etwa acht bis zwölf, ja bis zu 20 Jahren. Aale sind „katadrome“ Fische, denn sie wandern auf ihrem Laichzug vom Süß- ins Salzwasser und vom Meer wieder zurück in die Flüsse. Der bekannte Lachs hingegen ist ein „anadromer“ Fisch, seine Wiege sind die Quelllbäche und kleinen Flüsse, aus denen er dann ins Meer wandert und erst zum Laichen wieder zurückkehrt.
„Der Aal ist bedroht“, weiß Schmidt, und auch deshalb ist ein nachhaltiger Besatz wichtig. Nicht die Angler oder die Berufsfischer bedrohen die Bestände, es ist die Technologie der modernen Industriegesellschaften. Wasserverschmutzung, besonders aber Dämme und Wasserkraftwerke erweisen sich für die Aale als unüberwindliche, zum Teil tödliche Hindernisse. Wo es funktionierende Umgehungsgerinne und Fischtreppen gibt, können die Tiere diese Hindernisse gefahrlos passieren. Doch nicht überall in Europa und auch in Deutschland sind die bereits vorhanden, und so endet die Reise vielfach schon kurz nach Beginn, wenn die Aale in den Turbinen regelrecht zerhackstückelt werden.
„Ein Aal macht immer zwei Wanderungen, nämlich von der Sargassosee ins Süßwasser und dann nach einigen Jahren zurück zum Laichen in das atlantische Meeresgebiet“, weiß Pickrahn. „Ihr Weg führt sie von den Mündungen der großen europäischen Ströme aufwärts bis beispielsweise in die Tauber“, verdeutlicht der Weikersheimer Gewässerwart. Der Aal gehört in die Tauber, er ist keine vom Menschen eingebrachte Art wie die Regenbogenforelle, die ursprünglich aus Nordamerika stammt. Und längst haben die Fischereivereine erkannt, dass sie Verantwortung tragen für einen artenreichen und angepassten Bestand. „Gerade weil die Aale Probleme beim Ab- und Aufstieg haben, müssen wir ihnen unter die Arme greifen“, sagt dann auch der Vorsitzende des Bad Mergentheimer Fischereivereins, Ulrich Landwehr, zur Teilnahme am Projekt Glasaal.
Schnell sind die drei Kisten im Kofferraum verstaut, und die Fischer machen sich auf den Rückweg. Der Abend und damit die Dämmerung nahen, es ist Eile geboten. Schmidt ruft einen Jungfischer an. Kevin Hein wird beim Aussetzen der Glasaale in die Tauber in Weikersheim helfen. Die zwei für die Bad Mergentheimer bestimmten Kisten werden umgeladen, der Fahrer bringt sie zu Josef Dürr. Der ex-Gewässerwart des Mergentheimer Fischereivereins unterstützt seinen Nachfolger Stefan Herkner und übernimmt das Aussetzen.
Erst kürzlich haben Mitglieder beider Vereine die Ufer der von ihnen bewirtschafteten Tauberstrecken gereinigt. Wieder einmal wurde viel Müll aufgelesen, den gedanken- und verantwortungslose Mitbürger dort abgeladen hatten. Heute aber kümmern sich die Angler um die Zukunft; der Besatz mit Glasaalen ist ein nachhaltiges Projekt. Auch Dürr war bei der Tauberufer-Reinigung dabei. Noch immer ärgert ihn die Entdeckung einer Vielzahl von in Edelfingen abgelegten Müllbeuteln. „Wir haben Anzeige erstattet. Mal sehen, was die Polizei ermittelt“, sagt Dürr und öffnet die erste Glasaal-Kiste. Schnell sind die Jungfische in die Tauber umgesetzt. Bildeten sie in ihrer Kiste ein Knäuel, ziehen sie nun, jeder für sich, in die Tiefe. Unter und hinter Wurzeln und Steinen finden sie Schutz und Nahrung. „Nur ein Teil wird es schaffen, aber das sind dann bestens angepasste Fische“, sagt Dürr. Gangelt werden können die jetzt besetzen Glasaale noch lange nicht. „Mindestens drei bis vier Jahre wird es dauern“, schätzt Dürr. Ob sie dann überhaupt noch geangelt werden dürfen, ist unklar. Schon heute ist der Aal in vielen Gewässern geschützt. Dennoch ist der Besatz „wichtig und richtig“, meint Dürr. Denn nur Aale, die im Süßwasser abwachsen, können sich auf den Weg in die Sargasso-See machen und so für den Fortbestand ihrer Art sorgen.
© Fotos und Text: H-P Kuhnhäuser